Lernen Sie hier unseren Kirchenmusiker genauer kennen
Jens Scharnhop, viele kennen dich an Orgel und Klavier. Spielst du noch andere Instrumente?
In der Tat habe ich als Kind und Jugendlicher Klavier und Orgel gelernt. Andere Instrumente spiele ich eigentlich nicht, aber ich kann sie oft nach meinen Vorstellungen wenigstens rudimentär nutzen, je nachdem, wie die Musik in meinem Kopf auftaucht. Und wie viele Hände und Füße ich dafür gerade frei habe. Wenn mir Fanfarenähnliches vorschwebt, nehme ich z.B. ein Jagdhorn dazu, für sphärische Klänge gern Theremin, Glockenspiel oder Kalimba. Das Cembalo in der Kirche habe ich natürlich auch schon entdeckt. Falls meine eigenen Fertigkeiten nicht reichen sollten, hole ich dann doch lieber ausgebildete Musikerinnen und Musiker hinzu.
Und magst du uns verraten, welches Instrument du am liebsten spielst?
Ich liebe die Orgel! Dieses Instrument hat ein weitaus größeres bisher unentdecktes Klangpotential, als den Hörern und Kirchenmusikern bislang weisgemacht wird. Und auch das Klavier, dessen Weiterentwicklung vor über 120 Jahren abrupt stehengeblieben ist, hat klanglich ganz andere, weiterreichende Möglichkeiten, wie z. B. die weltweit überaus erfolgreiche Musik eines Nils Frahm auf seinem Una Corda eindrücklich beweist.
Wer mich kennt, weiss, dass ich mich nach 40 Jahren Kirchenmusik fast völlig entfernt habe vom Musizieren historischer und konservativer Kirchenmusik, die ja ausschließlich reproduzierend stattfindet. Allenfalls Sequenzen oder einzelne Motive nutze ich da noch, um sie beispielsweise mit einer Choralmelodie zu verbinden. Ähnlich wie das Wort im Verkündigungsdienst, das sich auch nicht darauf beschränkt, aus ständig wiederholt vorgelesenen Luther-Predigten zu bestehen, bin ich vor Jahren dazu übergegangen, die musikalische Seite im Gottesdienst mit der Musik zu verbinden, die die Menschen heute selbst hören und hören wollen. Das kann auch ganz unterschwellig sein. Zur Predigt über die deutsche Einheit gehört unweigerlich das gepfiffene „Wind of Change“-Thema, welches sich gut für die Orgel bearbeiten lässt; zum Wahlsonntag Walther von der Vogelweides politische Lied „Die Gedanken sind frei“. „Mein Freund der Baum“ ist eng verbunden mit der Karfreitag-Thematik und der Choral „Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ findet seine Entsprechung in „Nothing else matters“. Das Ernte-Kinderlied „Hejo!“ bekommt eine ganz neue, in die Tiefe gehende Bedeutung, singt man es am Ewigkeitssonntag. Da gibt es tausende andere Möglichkeiten – und das ist keine Hyperbel! Ein Paul-Gerhardt-Lied daneben gestellt erklingt dann in einem völlig neuen Licht. Wenn Konfirmandinnen und altersreifere Gottesdienstbesucher da gleichermaßen zustimmen, sollte das doch die Richtung sein.
Um die Ausgangsfrage zu beantworten: das Instrument ist mir am liebsten, das mir im Moment die beste Möglichkeit gibt, die zu überbringende Botschaft weiter zu leiten.
Du bist ja kein Unbekannter in unserer Kirchengemeinde. Was verbindet dich mit Bad Bevensen und Medingen?
Meine Herkunftsfamilie sitzt ja in Bohndorf, dem Ort, an dem das Medinger Kloster vor 800 Jahren gegründet wurde. Der Urtext zweier zentraler Choräle aus dem Gesangbuch stammt genau von der Stelle, an der jetzt mein elterlicher Hof steht: das Weihnachtslied „Gelobet seist du Jesu Christ“ und das Osterlied „Wir wollen alle fröhlich sein“.
Du bist für 24 Jahre als Kirchenmusiker in Scharnebeck tätig gewesen. Wie kam es denn eigentlich, dass du Kirchenmusiker geworden bist? Und wo warst du noch alles kirchenmusikalisch unterwegs?
Nach meinem Konfirmandenunterricht musste der Pastor mich wegen eines plötzlichen Wintereinbruchs von Altenmedingen mit dem Auto nach Hause bringen. Als wir in Bohndorf an der Kapelle vorbeifuhren, sagte er mir: „Jens, du spielst doch Klavier! Wenn eines Tages Vati Schacht nicht mehr ist, könntest du doch…“ – der damalige Dorfschul-Lehrer war natürlich auch für Kirchenmusik zuständig. Ich dachte nur: „Piep, piep, wenn der mich konfirmiert hat, sieht er mich nie wieder!“. Anderthalb Jahre später war der Organist tot – und ich hatte mit 15 Jahren einen Kirchenmusiker-Vertrag! Für einen Schüler war das ein gutes, zusätzliches Taschengeld.
So bekam ich Orgelunterricht und bediente auch viele Vertretungen in der Region, zu denen ich mit dem Trecker fuhr. Es folgten Anstellungen im Hildesheimschen und später in der Elbmarsch. Seit der Jahrtausendwende spielte ich in Scharnebeck an einer ganz außergewöhnlichen Orgel.
Mit welchen spannenden Musiker/innen hast du schon zusammengearbeitet?
Alle Musikerinnen und Musiker, mit denen ich zusammen spielen kann, sind immer spannend! Da ich mit ihnen meist abseits jeglicher Konventionen und Notenvorgaben musiziere, entstehen fantastische neue Dinge. Sehr beeinflusst mich dabei der Lüneburger Komponist Daniel Stickan mit seiner völlig neuen unorthodoxen und mehrfach international ausgezeichneten Herangehensweise an Kirchenmusik. Er gab mir vor gut 10 Jahren letztlich auch den entscheidenden Kick, die historische Kirchenmusik hinter mir zu lassen und nach vorne zu hören und spielen.
Wenn du an musikalische Projekte zurückdenkst, die du schon gemacht hast, welche besonderen Momente kommen dir in den Sinn?
Über 25 Jahre lang konnte ich internationale Konzerte mit Koryphäen ihres Fachs für die Orgel in Scharnebeck organisieren, auch und vor allem mit bisher völlig unerhörten und krassen Projekten. Die Idee war immer, nicht das Instrument in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Musik selbst mit ihrer Botschaft! Überregional bekannt wurde etwa ein visuelles Konzert, zu welchem wir den bekannten Film „Die Nordsee von oben“ zur Orgelmusik geschnitten hatten. Üblich ist es ja umgekehrt: die Musik wird zum Film produziert.
Das funktioniert auch an anderer Stelle, z.B. in der Lüneburger Schifferkirche. Hier versammle ich regelmäßig Musikerinnen und Musiker, mit denen ich dann nach einer Idee, einem Konzept musizieren kann und weniger nach aufgeschriebenen Noten. Da entstehen völlig unerwartete Klänge und Musiken. Das bringt viel Freude beim Spielen und, wie der Erfolg zeigt, auch beim Hören! Unvergessen ist dabei ein Konzert mit dem Thema eines irischen Folksongs „All Around my Hat“, bei dem sich die Musik auf 10 Klavieren ständig um das Publikum herum bewegte.
Was sollte Musik in der Kirche deiner Meinung nach leisten?
Leider ist Kirchenmusik nach wie vor rückwärts gerichtet. Da sie fast ausschließlich mit dem Fokus auf sogenannte „Alte Meister“ gelehrt wird, ist sie für mich eindeutig dogmatisch ausgerichtet. Und der Musikgeschmack der weitaus meisten Menschen wird dabei völlig ausgeklammert. Gute Kirchenmusik soll und muss in erster Linie alle Gottesdienstbesucher erreichen und bewegen. Das funktioniert oft nur, wenn Wort und Musik eine gemeinsame, einheitliche Botschaft transportieren. Für mich selbst ist es wichtig, ein Wort, einen Gedanken, einen Leitsatz mit in die kommende Woche zu nehmen. Das sollte auch die Musik leisten, die das unterstützen kann. Auch hier gibt es Melodien, Phrasen, Motive, die die Gottesdienstbesucher durch die Woche begleiten können, auf welche Weise auch immer. Oft kommt mir die Idee für das Nachspiel erst beim Hören der Predigt in den Sinn.
Was wünschst du dir für die Kirchenmusik in unserer Gemeinde für die Zukunft?
Lebendigkeit! Da gibt es so viele Möglichkeiten, den Gottesdienst und die Gemeindearbeit am Leben zu erhalten. Nur so wird Neugier geweckt, das auch bisher unerreichte Menschen sich (wieder) in Richtung Evangelium orientieren. Die Menschen, die sich der Kirche abwenden und von ihr entfernen, haben ja nicht weniger Fragen in kritischen und unsicheren Zeiten. Im Gegenteil. Der Wegweiser zu den Antworten kann und sollte daher auch die Musik sein.
Liebe Gemeinde, wenn sich jemand unerwartet mit einem Instrument im Gottesdienst einbringen wollte, das wäre fantastisch! Oder Konfirmandinnen und Konfirmanden machten und sängen „ihre“ Musik! Auch projektbezogenes Arbeiten mit anderen Musikerinnen und Musikern ist für mich immer denkbar.
Da gibt es doch noch so viele unentdeckte Möglichkeiten und Wege abseits zugepflasterter Straßen…